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 >  Geschichte > Kriege & Schlachten bis 19. Jhd (Moderatoren: Drusus, Volwo) > Thema:

 Ein Augenzeugenbericht

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Avatar  Ein Augenzeugenbericht  (Gelesen 1759 mal) 0
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(versteckt)Themen Schreiber
#0
08. April 2008, um 11:03:21 Uhr

Servus,

Ich gebe mit Hinblick auf die napoleonischen Kriege gerne den Tipp einfach mal in der Nähe der eigenen Ortschaft nach Überresten jener Zeit zu suchen. Jedenfalls dachte ich mir, dass ich zu jenem Zweck mal einen meiner zahlreichen Augenzeugenberichte hier zeige. Der Verlauf war in fast jeder Ortschaft der Gleiche: tausende von durchziehenden Truppen, Plündereien und Raub. In vielen Fällen wurde dies jedoch vom Einheitskommandeur ausdrücklich verboten. Wenn man sich jedoch die Augenzeugenberichte seiner eigenen Ortschaft durchliest, so merkt man rasch, dass da eine Menge verloren gegangen sein muss. Besonders zu jener Zeit ist fast kein Dorf nicht mindestens einmal von Truppeneinquartierungen oder dem Durchmarsch von Truppen betroffen gewesen. Die Berichte lassen sich meist durch Nachfrage beim ortsansässigen Chronisten erwerben. Lange Rede, kurzer Sinn. Hier nun ein Bericht aus dem 1806/1807-er Feldzug in Thüringen:

,,Wie groß war das weltkundige und alle Beschreibung und Grenzen übersteigende Unglück vom Monat Oktober vorigen Jahres, wo mancher unter uns seines Lebens, sehr viele aber ihrer Gesundheit und unstreitig alle ihres Vermögens, das ohnehin bei ruhelosen Zeiten zu dürftigem Unterhalde nur zureichte, beraubt worden. Kein Mensch ward geschont, der nicht durch die Flucht entrann; selbst die den Christen heiligsten Oerter, auch die Gräber der Verstorbenen blieben nicht unversehrt und ungestört, wie auch im entgegengesetzten Falle die ekelhaftesten Orte nicht. Unzucht, Mißhandlungen aller Art, Rauben und Plündern waren an der Ordnung. Alles schien auf unseren völligen Untergang gerichtet zu sein, denn nachdem man sich hier anfänglich zu einer fürchterlichen Schlacht gerüstet hatte, die aber dann noch nicht erfolgte, wurden wir drei Tage lang ganz fürchterlich, grenzenlos, mehrere Tage aber minder gefährlich, gemißhandelt und geplündert.
Nicht bloß geplündert, was man vormals plündern nannte, sondern total ruiniert, denn keine Bissen Brot oder Körnchen Salz als die unentbehrlichsten Lebensbedürfnisse blieben uns, selbst die letzte und notdürftigste Bekleidung wurde uns vom Leibe gerissen. Und was nicht zu transportieren war, ward ruiniert und unbrauchbar gemacht. So vom Hunger gequält und von Kleidung entblößt, suchte der größte Teil sein Leben in voller Verzweiflung durch die Flucht zu sichern, und dennoch mussten wir nachher so Unzählige mit größter Lebensgefahr köstlich verpflegen, auch unseren Anteil zur Kontribution beitragen, oder vielmehr erborgen. Wir leugnen keineswegs, dass andere auch sehr viel gelitten und fast ruiniert sind, was aber wir zu damaliger Zeit dulden mussten und erfahren, dergleichen Szenen konnten sie nicht erleben weil sich bei aller Wut dennoch Menschen fanden, hier aber in den ersten Tagen und dem ersten Anprall fast kein Mensch zu sehen war; alle unter uns, die einen siebenjährigen Krieg erlebt oder selbst einen solchen als Soldat mitgemacht, versichern einstimmig, dass jener, in Vergleichung mit diesem kein Krieg zu nennen sei. Hierüber mehr zu sagen, kann nichts nützen, sondern bloß unbeschreiblichen Schmerz verzweiflungsvoll erneuern. Unser größtes Glück kann und wird nur darin bestehen, wenn eine höhere Macht dieses Unglück vergessen macht. Damit wir uns keiner Ungerechtigkeit schuldig machen, so können wir keinem unter uns den Rang in Größe des erlittenen Unglücks streitig machen, da jeden dieses Unglück nach seinem Vermögen sehr hart getroffen.''
Ein Bürger der Stadt Triptis; die Stadt wurde am 10., 11. und 12. Oktober 1806 von mehreren französischen Korps, insgesamt 90000 Soldaten, durchquert

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#1
08. April 2008, um 13:06:54 Uhr

Danke für diesen äußerst lesenswerten Bericht! So macht Geschichte Spass und man merkt dass das Quellen Studium auf das A und O einer erfolgreichen Suche ist.

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(versteckt)Themen Schreiber
#2
08. April 2008, um 14:13:42 Uhr

Ergänzend jetzt noch dazu ein weiterer Augenzeugenbericht, welcher eindrucksvoll zeigt, was es bedeutete, wenn Truppen mehrere Tage lang in einer Ortschaft waren.

,,10. October 1806
Den 10. October bekamen wir gegen Abend viel preußische Truppen in die Stadt, so dass mein Haus 1 Capitän, 3 Lieutnants und 31 Grenadiers (!) aufnehmen musste, die alle in unserem Corps de Logis, die Gemeinen im Saal, und die Officiers in unseren Nebenstuben geschlafen haben und einquartiert werden konnten. Wir sahen in diesem starken Andrang der Truppen, dass unsere Gegend bald Kriegsschauplatz werden würde.
Unsere 10 Officiers hatten uns mit der Weisung verlassen, dass im Fall die Franzosen einrückten, wir nur nichts verschließen sollten, alles offen lassen, ihnen mit Wein, Schnaps, Bier und Brodt entgegen kommen; Vertrauen zeigen und uns nicht fürchten. Wo man das aber nicht thäte, zuschlösse, Furcht zeigte, nichts geben wollte, da nehmen sie selber, zerschlügen alles, und misshandelten... .

12. October 1806
Der erste Anlauf auf mein Haus war ein Husar mit 2 Pferden. Ich eilte ihm mit Brodt und Wein entgegen. Er forderte 3 Gläser Wein und Semmel, endlich auch Brodt für das Pferd seines Generals, das er an der Hand hatte. Wir wollten schwarz Brodt hingeben, mussten ihm aber weßes dafür auswechseln, weil er betheuerte: sein Pferd könne solch schlecht Brodt nich essen. Dieser bedankte sich höflich, zog ab, und wir waren der Weisung unserer preußischen Officiere schon froh, weil wir nicht anders meinten, als dass es immer so gehen würde.

13. October 1806
Es kam wieder ein kleiner Trupp und ließ sich tränken und speisen und verlangte dann Geld. Ein anderer Trupp vereinigte sich mit diesem. Es wurden an 30 Mann. Man drängte die Treppe hinauf und verlangte Geld. Wir mussten alles aufschließen. Man nahm uns an Wäsche und andern unzähligen Dingen, was man nur gebrauchen konnte, geld fand man nicht und verlangte es immer ungestümer. Endlich ging ein Trupp in den Keller. Man schaffte alles Bier und allen vorräthigen Wein heraus, um es mitzunehmen, und durchwühlte den Keller nach Geld. Sehr oft hatten wir die Bajonette auf der Brust. Andere zogen den Hahn auf um zu schießen. Wieder andere hatten einstweilen oben und allenthalben im Hause geplündert und erbrochen, wo die Schlüssel fehlten. Endlich fand einer einen kleinen Tisch, worinn meine Privat-Casse versteckt war. Ich hatte nicht geglaubt, dass sie hierauf verfallen würden, denn der Verschluss war sehr heimlich. Man erbrach ihn. In 3 Beuteln, im Nothfalle gepackt, zum Mitnehmne bei Feuersgefahr, waren gegen 150 Taler außerdem noch an 10 bis 15 Taler Geld in der Casse in diversen Sorten. Drey ergriffen diesen Beutel, und ein vierter schüttete die Casse aus. Die andern kamen immer mehr dazu und wollten mit diesen theilen. Jene wollten nicht hergeben und sagten, diese sollten auch suchen. Man fing an, sich deshalb zu beschimpfen und sich darum zu schlagen. Inzwischen setzten andere uns wieder das Bajonett auf die Brust und verlangten mehr. Wir wollten und konnten nicht mehr geben. Man fing an uns zu durchsuchen und zu entkleiden, Weiber und Männer waren bald im Hemde, und man begriff die Weiber auf die unanständigste Art. Man war nicht weit davon auch zu nothzüchtigen, durch Auge und Hand für schändliche Begierden gereizt, als und das Schicksal in einem braven Officier mit einem Marodeur-Commando einen wahren Engel sandte! Wir hörten Lärm im Hause, und mit einmal brach dieser mit sechs Mann in unser Zimmer. Es wurde eine ordentliche Schlacht im Hause. Er mit einem armsdicken Knittel bewaffnet, die Soldaten mit dem Flintenkolben, schlugen zu, dass die Knochen krachten. Wir mussten uns nur retirieren, um nicht mit todt geschlagen zu werden. Die Marodeurs in der zweiten Etage wurden doch nur gerade zu Halsbrechen eine Treppe hinunter gestoßen, die in der dritten Etage hatten auf diese Art zwei Treppen zu passieren. Alles ging so eilig und wüthend, dass wir freylich diese Marodeurs bald los wurden- aber uns nichts zurückgeben lassen konnten.- Und der Officier eilte gleich mit seinem Commando in andere Häuser, nachdem er uns befohlen, unser Haus zu verschließen... . Ich ging mit Frau und Kind zu Frommanns, die durch Glück von allen Marodeurs befreit geblieben waren, und weil sie an einem seitwärts entgegengesetzten Ende in der Vorstadt wohnten, wo noch kein Militär hingekommen war. Man nahm uns freundlich auf. Die Bedienten eines Generals machten dort bald Quartier, und da durch war nun dieses Haus und seine Bewohner geschützt, so dass sie zwar nicht geplündert und gemißhandelt wurden- , aber sie bekamen 3 Generals und noch viel andere Officiere und Bedienung, so dass sie in den ersten 4 Tagen immer an 120 bis 130 Menschen haben speisen müssen.''
Ein Bericht des Bürgers Wesselhöft, Bürger zu Jena

Aus: Koch, Erzählung der Begebenheit

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#3
08. Juli 2008, um 17:32:25 Uhr

Sehr Interessant deine Berichte ... Super

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